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TCE-Blog

24. Februar 2016 · Erfahrungsbericht

Vor zwei Jahren – vor einem Jahr – heute

"Morgens 6.27 Uhr, mein Wecker klingelt. Ich bin müde. Die 4-5 Stunden Schlaf (manchmal auch nur 2 oder 3) pro Nacht reichen einfach nicht.
Schminken. Haare machen. Selbstabwerten. Oft hin und her laufen, wegen dem Müsli in meinem Bauch.
Die Schule zieht weiter mehr oder weniger an mir vorbei und auf Fragen, was mit mir los sei, antworte ich wie immer: Ich bin einfach nur müde.
Schule fertig. Schnell zur U-Bahn nach Hause. Umziehen. Warme Jogginghose und viel zu großer Schlabber-Flausch-Pulli (er geht mir bis zu den Knien), über mein eigentliches Oberteil. Kniestrümpfe und zweites Paar Socken anziehen. Kurz unter 2 Decken im Bett am Handy sitzen. Ein Video anschauen. Dann Hausaufgaben machen und lernen, ich muss ja schließlich gut in der Schule sein. Danach oder manchmal währenddessen wieder Gedankenkreisen.
Erste Decke richten. Zweite Decke richten. Dritte Decke richten. Licht aus. Hinlegen. Gedankenkreisen. >>Was gibt's morgen zu essen, was werde ich essen, wie war der Tag heute, was ziehe ich morgen an...und so weiter<< Nach Stunden schlafe ich, nach einem anstrengenden und stimmungsgedrückten Tag, endlich ein." (Ausschnitt Tag in der Krankheit, 2013)

Ich lese den Text und habe noch ein unwohles Gefühl dabei, aber ich merke auch ganz deutlich, dass ich das nicht mehr bin. Seit diesem Tag ist viel passiert, ich hab im TCE Therapie gemacht und sie erfolgreich abgeschlossen. Ich bin wieder nach Hause mit einem guten Gefühl. Aber ich muss ehrlich sagen, das erste Jahr daheim war alles andere als ständig leicht.

Stichtag: 21. Dezember 2013, ich ziehe wieder heim. Ich freue mich unheimlich. Weihnachten, das Leben nimmt seinen Lauf. Ich gehe noch ambulant in Therapie. Mache mir erst keine Gedanken mehr um mein Gewicht und verdränge mein Unbehagen über die Zunahme (heute würde ich sagen, das ist normal, das Gewicht braucht einfach lange, um sich einzupendeln). Aber ich habe Spaß, mache wieder was mit Freunden und breche sogar immer mehr die Regeln der Essstruktur auf. Ich fühlte mich durch diese eingeengt. Meine Therapeutin nervt mich, ich beende die Therapie, die mir auch nicht so viel geholfen hat, im Juni 2014 und beginne eine Tanz-/Gesprächsgruppentherapie. Leider zu spät, ich hätte mich früher fangen können, hab ich aber nicht. Stress zu Hause, der Wunsch auszuziehen, der aufkommende Sommer, die Gewichtszunahme (bis März) und das Triggern meines vergessenen Bewegungsdranges durch die wegen Gleisbauarbeiten für 3 Monate nicht mehr fahrende U-Bahn und meine Lösung, dann halt Fahrrad zur Schule zu fahren, führen dazu, dass ich zwar keinen richtig ausgewachsenen Rückfall habe, aber doch Symptome wieder auftauchen.

"Es gibt Geschrei um halb 7 in der Früh. Yeay. Hoffentlich regnets heute nicht. Ich MUSS Fahrrad fahren.
Aufs Fahrrad und los, ich bin noch müde, irgendwie ist mir auch ein bisschen kalt, alles doof.
Der Schultag plätschert dahin, ich pass mal mehr, mal weniger auf, rede mit nicht so vielen Leuten und fahre mit dem Fahrrad wieder heim.
Abendessen ist schrecklich, dauernd nur Gebrülle, Streit, Aggression und all das, was dem Gegenteil vom Konzept glücklich/harmonische Familie entspricht. Ich will ausziehen.
Später vorm Einschlafen habe ich Zeit zum Nachdenken: ich merke, dass ich psychisch ausgelaugt bin und sich das stärker auf mein Symptomverhalten widerspiegelt, als mir lieb ist. Will mich aber nicht sehr damit beschäftigen, sondern lieber mit meinem Treffen morgen mit S.
Ich schlafe langsam ein und denke daran, dass ich zum Glück länger schlafen kann, weil ich erst zur dritten habe, ich möchte meiner Family nicht mehr als nötig begegnen." (Tag ca. Mai/Juni 2014 aus Erinnerung)

Aber hey, ich hab mich dann doch wieder darappelt. Die Tanztherapie hat bestimmt geholfen, aber auch der Glaube an mich selber, den ich zum Glück nie verloren habe, und die Tatsache, dass ich nicht wollte, dass es ein wirklicher Rückfall wird, und ich dann nach meinem Abi anstatt Party wieder Therapie mache.
Die Gruppentherapie ging bis November 2014 (6 Monate), danach hab ich aufgehört und keine neue mehr angefangen. Mir ging es gut damit, zur gleichen Zeit stoppte ungefähr das regelmäßige Wiegen beim Hausarzt, ich brauchte es nicht mehr. Mein Gewicht hatte sich seit ca. 3 Monaten eingependelt. Die Struktur, welche ich in meiner schlechteren Phase wieder streng übernommen habe, lasse ich langsam ausschleichen. Heute esse ich komplett intuitiv und nach Hunger. Ich lasse mich nicht mehr so von der Schule stressen und alles geht viel leichter. Ich bin wieder auf meinem Leistungsniveau angekommen und das ging anscheinend nur, wenn man sich nicht stresst, entspannter und mit weniger Gedanken um die Schule an die ganze Sache rangeht. Interessant. Ich mache mein Abi und der Sommer meines Lebens beginnt. Ich bin in dem Jahr, ich würde sagen vollkommen frei geworden, mir ging es nie besser als jetzt und ich sitze hier und fühlte mich meinem Tag in der Krankheit nie entfernter. Ich bin wieder Ich. Und jetzt kann ich sehen, dass die komplette Genesung halt Zeit braucht, das Gewicht, für mich persönlich, dass ich normal wieder Sport machen kann, ohne zu übertreiben. Und ich kann auch sagen, was ganz wichtig ist: als ich mein Gewicht dann nach dem Zusammenbruch einfach hab machen lassen und es da angekommen ist, wo mein Körper hinwollte, war auch mein Körpergefühl plötzlich ein ganz anders. Und zwar positiv, nur durchbrochen von Meh-Tagen, die jede Frau mal hat.

"Ich wache von alleine auf und schaue auf die Uhr, meistens ist es ca. 9. Es ist keiner mehr daheim, ich mag die Ruhe morgens. Im Schlafanzug frühstücken und noch ein bisschen chillen.
Dann irgendwann doch produktiv sein: Französisch (wieder-)lernen, Mittagessen kochen.
Ich verabrede für mich fürs Weggehen abends, genauso wie mit L. für unser Sport-Date (machen wir regelmäßig).
Bis dahin entspannen.
Ich rede mit meiner Mom, scherze mit meinem Bruder, der auch schon wieder auf dem Sprung ist. Hoffentlich macht er sich heute mal ein Mädchen klar ;)
Ich mache mich fertig: Rock, Top, Schminken, Let's Go. D. Treffen und eine Bar besuchen, weiterziehen in einen Club, sie geht heim, ich treffe mich noch mit anderen. Gute Stimmung, um 6 Uhr mit einer Freundin zu ihr heimfahren, bis nachmittags pennen, müssen ja wieder fit für die Wiesn sein." (September 2015)

Bildnachweis: istockphoto.com/tassii

Über die Autorin

Isabella, 18 Jahre, von Juni bis Dezember 2013 im TCE